Kompass-Newsletter Nr. 52 – September 2016 (pdf)
+++ 10.9.: Zelt-Aktionstag von Lampedusa in Hamburg +++ 10. und 11.9. in Bochum und Wuppertal: Solidarity Networking of Refugee Communities +++ 17.9. in Düsseldorf: Demo für Bleiberecht +++ 22./23.9. in Ungarn und überall: Free Röszke 11 – Solidaritätsaktionen +++ Welcome2Stay – wie weiter? +++ Zentrales Mittelmeer: Andauernd hohe Ankunftszahlen +++ Griechenland: Proteste in den Camps +++ 29.9.: Bundesweiter Schul/Uni-Streik- und Aktionstag – Keine Grenze steht für immer +++ 30.9. – 2.10. in Frankfurt: Konferenz zu „Erneuerung durch Streik“ +++ 30.9. – 2.10. in Köln: Konferenz zu „solidarischen Perspektiven gegen den technologischen Zugriff“ +++ 1.10. in Heidelberg: Demo „gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung“ +++ Zeitung Daily Resistance Nr.2 +++ Update Welcome2Europe +++ Rückblicke: Noborder Thessaloniki, Blockupy +++ Ausblick: Transnational Social Strike Meeting in Paris im Oktober +++
Liebe Freundinnen und Freunde,
Zum 4. September haben sich viele Medien darin versucht, die Tage der Grenzöffnung 2015 von Ungarn über Österreich nach Deutschland zu rekonstruieren. So interessant einige Chronologien aufgemacht sind, hinter den Details politischer Entscheidungsabläufe verschwindet allzuoft der zentrale historische Akteur. Es waren die Geflüchteten und MigrantInnen, ihr monate-, ja jahrelanger hartnäckiger sozialer Kampf, der in diesen Tagen das EU-Grenzregime auf einer zentralen Route regelrecht überrannt und die Dublin-Verordnung in den Kollaps getrieben hat. Hunderttausende Menschen konnten in der Folgezeit – bis zur quasi-militärischen Schließung der Balkanroute im März 2016 – vergleichsweise mühelos Richtung Nordwesteuropa weiterreisen. Die Meisten haben sich aller anhaltenden Ausgrenzung zum Trotz hier verankert, allein in der ersten Jahreshälfte 2016 erhielten über 200.000 Flüchtlinge in Deutschland einen Schutzstatus. Sie werden die politische Landschaft zukünftig mit prägen, und sie werden zur Triebfeder und zum materiellen Unterstützungsfaktor der nächsten Generationen, die kommen wollen oder müssen. Weder Hetze noch Gesetze können diese Errungenschaft zurückdrehen.
Ja, das Rollback ist und bleibt gewaltig, in wahrsten Sinne des Wortes. Neue Abschottungsmassnahmen und AfD-Erfolge, geplante Dublin IV-Verschärfungen und unsägliche Burka-Verbotsdebatten: schwer einzuschätzen, auf welche weitere Polarisierung sich Europa zubewegt und wieviel gefährlicher und tödlicher der rechte Populismus im Zusammenspiel mit der rassistischen Mitte in nächster Zukunft noch werden kann.
Doch wir haben keinerlei Grund, uns zu verstecken. Unser Pol bleibt vielfältig und ausdauernd. An allen Ecken und Enden regt sich weiter Widerstand, lokal bis transnational. Während wir diesen Newsletter produzieren, rufen Geflüchtete in München zur Kundgebung und Platzbesetzung auf, Lampedusa in Hamburg protestiert am kommenden Samstag. Women in Exile und NoStress Tour waren und sind unterwegs quer durch die BRD und Oranienplatz-Aktive produzieren in Berlin eine eigene Zeitung.
The Voice aus Jena organisiert Refugee-Community-Treffen in mehreren Städten, Refugees for Change mobilisierte im August erneut zur Demo in Frankfurt. An mehr und mehr Orten haben sich selbstorganisierte Ansätze entwickelt, während sich gleichzeitig alte und neue Solidaritätsstrukturen verstetigen. Die
vielgenutzte Webseite von Welcome2 Europe bietet aktualisierte und erweiterte Kontakte und Informationen, das Netzwerk Welcome2Stay verabredet sich zu neuen Aktivitäten.
Transnational gibt es ebenfalls keine Atempause: während des Noborder-Camps in Thessaloniki Mitte Juli kam es zu sehr produktiven Vernetzungstreffen von aktiven Gruppen aus dem gesamten Balkan. In den Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln – die langsam aber stetig durch Neuankünfte voller werden – wie auch auf dem Festland finden permanent Protestaktionen statt. In Calais spitzt sich die Situation erneut zu, fast 10.000 Menschen suchen dort ihre Chance, nach England zu kommen, und sollen nun geräumt werden. Unvermindert hoch bleibt die Anzahl der Boote, die aus Libyen losfahren, die Aufnahmelager in Sizilien und Süditalien sind erneut völlig überfüllt. Ventimiglia – die italienische Grenzstadt zu Frankreich – wie auch Como – an der Grenze zur Schweiz – sind inzwischen zu neuen Brennpunkten des Widerstandes geworden, an denen Tag für Tag das Recht auf Bewegungsfreiheit Richtung Norden eingefordert und bisweilen auch durchgesetzt wird.
Insofern enden wir nochmal mit der Frage, die wir im letzten Newsletter bereits gestellt hatten: „Sind der Auf- und Ausbau kontinuierlicher Alltagsstrukturen letztlich nicht die nachhaltigste Antwort auf einen rassistischen Mainstream, der sich weiter ungebremst zu verschärfen scheint?“
Mit antirassistischen Grüßen,
das Kompass-Team