Kompass-Newsletter Nr. 49 – Mai 2016

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+++ Situation und Alltagskämpfe in Griechenland +++ Zivile Rettungsschiffe gegen das Sterben im zentralen Mittelmeer +++ 13. bis 16.5. in der Lausitz: Ende Gelände +++ 3.- 6.6. in Frankfurt: Seminar zu rassismuskritischen Stadtrundgängen +++ 9.6. in Berlin: No-Valetta Demo +++ 10. bis 12.6. in Leipzig: Welcome2stay Gipfel +++ 24. bis 26.6. an der slowenisch-kroatischen Grenze: Defencing Festival +++ Spendenaufruf Alarmphone +++ Wissen ist Schutz: Mehrsprachige Infomaterialien zu Arbeit und gegen Ausbeutung +++ Rückblick: No Frontex Days in Catania +++ Ausblicke im Sommerkalender bis Juli und August: Anti-Ra-Festival in Athen, Noborder Camp Thessaloniki, No Stress Tour, Sommerbustour Women in Exile, Camp gegen Abschiebelager Bamberg… +++

Liebe Freundinnen und Freunde!

Dieser Newsletter erscheint an einem Wochenende (7./8. Mai), an dem an vielen Orten in Deutschland und quer durch (Nord)Europa mit dezentralen Aktionen gegen das EU-Abschottungs- und Abschieberegime mobilisiert wird. Thema ist insbesondere der schmutzige EU-Türkei-Deal und die Kollaboration mit Regierungen in Transit- und Herkunftsländern. Es bleibt richtig und wichtig, die „Externalisierung des EU-Grenzregime“ immer wieder anzuklagen, denn diese Aus- und Vorverlagerung symbolisiert die „ferne“ Seite der Ausgrenzungspolitik. Gegen die „große Politik“ erscheinen diese dezentralen Proteste maximal als kleine Nadelstiche, ihre relative Unverbundenheit offenbart einmal mehr das Manko des antirassistischen Widerstandes: das Bewegen „zwischen Vielfalt und Zersplitterung“.

Ähnlich sieht es auf der hiesigen, „nahen“ Seite der Ausgrenzung aus. Vielfältige dezentrale Proteste und Mobilisierungen gegen Asylgesetzverschärfungen, gegen neue „sichere Herkunftsländer“, gegen die Abschiebung der Roma, gegen das neue alte Lagerregime und gleichzeitige Initiativen für gleiche Rechte für Alle und für „Solidarität statt Spaltung“. So wichtig die lokale Verankerung und Ausweitung der Ansätze ist, so „begrenzt“ und wenig effektiv erscheint diese Vielfalt in ihrer momentanen Unverbundenheit. Dazu ein passendes Zitat aus dem aktuellen Aufruf zum Welcome2Stay-Gipfel im Juni in Leipzig:

„Die zahlreichen Initiativen der kontinuierlichen Solidarität und grenzübergreifenden Hilfe bleiben im politischen Diskurs unsichtbar. Sie gehen unter im politischen Ping-Pong-Spiel aus Mangelverwaltung, Schwarzer Null und rechter Angsthetze und bisher ist es nicht gelungen, dem eine politisch wirksame Initiative entgegenzusetzen. Forderungen nach Umverteilung, gleichen Rechten und einer Neugestaltung der sozialen Infrastruktur für alle scheinen bisher zu leise. Die Frage ist daher: Wie lassen sich die Forderungen der lokalen Initiativen verbinden und stärken, braucht es eine gemeinsame, bundesweite Mobilisierung gegen soziale Ausgrenzung und rassistische Abschottung – für ein ´mehr für alle`? Und wie können wir langfristig Netzwerke und Strukturen aufbauen, die die praktische Hilfe mit Selbstorganisation und Selbsthilfe verbinden? Was braucht es dafür – und welche konkreten Schritte können wir dafür verabreden?“

Hoffen wir, dass der Gipfel in Leipzig (siehe unten) ein Ort wird, wo diese Fragen intensiv diskutiert und konkrete Schritte verabredet werden. Und dass gleichzeitig deutlich wird, dass wir sie immer auf einen transnationalen Rahmen beziehen müssen. Denn wir erleben quer durch Europa entlang der Migrations- und Flüchtlingsfrage eine verschärfte Polarisierung und auch wenn insgesamt das rechte rassistische Lager immer lauter und stärker erscheint, sollten wir „unseren Pol“ nicht unterschätzen. Wie schnell überraschende Dynamiken „sichere“ Einschätzungen auf den Kopf stellen, lässt sich gerade in Frankreich erleben: dem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Front National kommt auf einmal ein sozialer Aufstand in die Quere, in dem die Solidarisierung mit den Sans Papiers dominiert…

Und kommen wir zum Abschluss nochmal auf den aktuellen Brennpunkt der Kämpfe zu sprechen. Es war die Hartnäckigkeit der Flüchtlinge und MigrantInnen, die den historischen Durchbruch gegen das EU-Grenzregime in der Ägäis und auf der Balkanroute 2015 möglich gemacht hat. Und es bleiben deren Alltagskämpfe, aktuell zuallererst in der Türkei und in Griechenland, die die soziale Realität auf dieser zentralen Fluchtroute nach Europe in den kommenden Monaten massgeblich prägen wird.

Es war absehbar, dass die Regierenden mit aller Gewalt versuchen würden, die Dynamik und Autonomien der Flucht- und Migrationsbewegungen zu brechen. Und das scheint momentan (6.5.16) effektiver und schneller gelungen als wir es uns noch Anfang des Jahres vorstellen konnten. „Abschreckung um jeden Preis“ ist die Devise, und unterhalb des Schießbefehls (den die neue Rechte medial bereits ins Spiel gebracht hat) wurde nahezu alles Denkbare aufgefahren: Militärische Abriegelung der Landgrenzen und Nato-Einsatz auf See, der Deal mit Erdogan und direkte Rückschiebungen in die „sichere“ Türkei.

Es bleibt weiterhin kaum vorstellbar, dass es zu erneuten Durchbrüchen kommt und nach den Erfahrungen von 2015 wird die Gegenseite auch von nichts mehr zu überraschen sein. Doch ob der Türkei-Deal mit Erdogan nachhaltig umsetzbar ist, ob und wieweit neue massenhafte Bootsüberquerungen in der Ägäis das hastig installierte Rückschieberegime blockieren werden, und was das und die anhaltenden Widerstände der Flüchtlinge in Griechenland neu in Bewegung setzen kann: viele Fragezeichen, vieles bleibt zumindest für die nächsten Monate durchaus offen. Wir sollten insofern – ebenso hartnäckig – mit kontinuierlichem Einsatz an der Seite der Betroffenen und Widerständigen bleiben.

„Umkämpfte Zeit, umkämpfte Räume“ lautet die Überschrift des neuen Spendenaufrufs des Alarmphone Projektes (siehe unten). Mag sein, dass die Fluchtbewegungen wieder für längere Zeit in die Heimlichkeit der kommerziellen Fluchthilfe und „Underground Railways“ gedrängt werden, so wie es auch die ganzen Jahre bis Mitte 2015 war. Sicher erscheint, dass der soziale und politische Widerstand gegen das EU-Grenzregime auch im Sommer 2016 auf allen Ebenen weitergeht und dass es – wie unser Kalender (ganz unten) für die nächsten Monate zeigt – reichlich Gelegenheiten an vielen Orten gibt, in den Kämpfen für Bewegungsfreiheit mitzuwirken.

Euer Kompass-Team

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