Kompass – AntiRa – Newsletter Nr. 54 – November 2016

Kompass-Newsletter Nr. 54 – November 2016 (pdf)

+++ Anfang November: Hungerstreik und Räumung der Geflüchteten in München +++ 11.11. in Berlin: Busdemo – Valetta stoppen +++ Demos gegen Abschiebungen nach Afghanistan +++ 19./20.11. in Frankfurt: Für eine große gemeinsame AntiRa-Konferenz 2017? +++ Ab 22.11. in Frankfurt, Freiburg, Bern, Zürich, Augsburg, München – Hotel City Plaza on Tour +++ 25.-27.11. in Osnabrück: Netzwerktreffen – Deutschland als Teil der „Balkanroute“ +++ 30.11. in Ungarn: Röszke 11 – Nächster Prozesstag +++ 3./4.12. in Hamburg: Konferenz gegen den G 20 im Juli 2017+++ Räumung in Calais +++ Griechenland: Impressionen aus Lesvos +++ Sea Watch zum Training der libyschen Küstenwache +++ WatchTheMed Alarm Phone: Bilanz und Spendenaufruf +++ Rückblick: Transnational Social Strike in Paris +++

Liebe Freundinnen und Freunde,

„Wir sehen eine Chance, dass ‚Sanctuary City‘, ‚Welcome City‘, Stadt des Asyls und des Bleiberechts auch in Europa, von Barcelona bis Hamburg und von Calais bis Berlin, zu einem Begriff wird, der von den MigrantInnen und den UnterstützerIn­nen, den Kirchen und den Initiativen mit Leben gefüllt werden muss. Zum Teil sind die Schulen bereits auf gutem Weg, es gibt das Kirchenasyl, es gibt Migranten­medizin und Medi-Büros, Unterstützer­gruppen und vereinzelt Squats, und es gibt seitens der Polizei bisweilen schon eine gewisse Toleranz gegenüber migrantischen Reproduktionszusammen­hängen. All dies könnte sich gegenseitig stärken und verdichten – und das wäre die richtige Antwort auf das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik.“

Das schreibt die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration in ihrem aktuellen Leitartikel, in dem sie sich auf gewachsene und lebendige Beispiele von Zufluchtsstädten in den USA und Kanada bezieht. Angesichts einer EU-weiten, immer aggressiveren Abschiebe- und Abschreckungspolitik, die mit rechtspopu­listischen und rassistischen Hetzkampa­gnen weiter betrieben wird, halten wir diesen Ansatz für eine zentrale Herausforderung an die antirassistische Bewegung.
Er korrespondiert mit dem, was in der Ankündigung zu einer Veranstaltungsreihe formuliert wird, in der Ende November und Anfang Dezember Aktive aus dem mit Geflüchteten besetzten Hotel City Plaza in Athen durch 11 Städte in Deutschland und der Schweiz unterwegs sind:
„Wie entwickeln sich Selbstorganisie­rungsprozesse im Transit und darüber hinaus, und wie können diese aus den transnationalen Netzwer­ken der Solidari­tät unterstützt werden? …Haben wir bereits begonnen, eine ´Under­ground Railroad` für Bewegungsfreiheit aufzu­bauen? Brauchen wir mehr Zu­fluchtsräume und perspektivisch Zufluchtsstädte entlang der Migrationsrou­ten als praktische Gegenpole zum rassistisch repressiven Mainstream?“
Und in der Einladung für ein Netzwerktreffen Ende November in Osna­brück wird gefragt: „Welche Möglichkeiten haben wir, gemeinsam für die Rechte dieser (illegalisierten, abschiebebedroh­ten) Menschen zu kämpfen? Wie können wir eine Bleibeperspektive jenseits von Asyl möglich machen? Wie können wir das Bild der kriminellen Illegalen auflösen? Wie können wir es schaffen, dass diese Solidarität nicht nur von einzelnen im Geheimen, sondern von vielen öffentlich gezeigt wird?“

Der „Jungle von Calais“ wurde im Oktober mit einem Großaufgebot von Polizei geräumt, um die „Träume auf ein Leben in Großbritannien“ zu zerstören. Lesvos, 2015 die Durchgangsstation von hundert­tausenden Flüchtlingen und deren EinwohnerInnen für ihre Hilfsbereitschaft ganz oben standen auf der Liste potentieller FriedensnobelpreisträgerIn­nen, soll Schritt für Schritt zur Insel der Hoffnungslosigkeit degradiert werden. Die Grenzzäune auf dem Balkan werden noch mehr und noch höher. Und die Forderungen der hungerstreikenden Ge­flüchteten in München treffen allenfalls auf kalte Ignoranz der Verantwortlichen. Ein besonderes Augenmerk richten die Technokraten der Migrationskontrolle zur Zeit auf das zentrale Mittelmeer: während die EU-Militärs libysche Grenzpatrouillen einer Phantomregierung trainieren, fordert Innenminister Maziere die direkte Rück­schiebung aller Boatpeople nach Tunesien oder Ägypten.

Denn über 180.000 Menschen werden sich – wenn es in der Frequenz der letzten Wochen weitergeht – bis Ende des Jahres über das Meer nach Italien durchge­schlagen haben. Ein neues Rekordjahr, trotz aller Militarisierung und einem Höchststand von über 4000 Toten, die in 2016 dem EU-Grenz- und Visaregime zum Opfer gefallen sind.
„Es gibt nur einen Weg, das Sterben auf See zu beenden: legale und sichere Wege der Einreise zu schaffen.“ Anfang November hat die Sea Watch damit ihre Forderung nach #SafePassages nochmal bekräftigt. Dieser Hashtag wird auch von anderen zivilen Akteuren geteilt – wie den „Ärzten ohne Grenzen“ oder „Jugend rettet“, die mit ihren Booten im Oktober bis Anfang November ebenfalls erneut im Dauerrettungseinsatz vor der libyschen Küste unterwegs waren. Ihre Präsenz rettet nicht nur Leben, sie schaffen zudem immer wieder Transparenz und kritische Öffentlichkeit aus einer Zone, die zwar bestüberwacht ist, aber ansonsten der Willkür und dem politisch-medialen Taktieren des EU-Grenzregime überlas­sen bliebe.
Den gleichen Zielen folgt auch das WatchTheMed Alarmphone, das als Hotline für Menschen in Seenot in den mittlerweile zwei Jahren seiner Existenz mit über 1750 Booten in Kontakt war. Und die ihr Projekt in den oben genannten Kontext stellen: „Wir verstehen das Alarm Phone als konkrete Solidarität im Transit, als Teil dessen, was als ´Underground Railroad` für die Fluchtbewegungen bezeichnet wird. Wir begreifen uns als transnationalen und multilingualen Knoten mit vielfältigen Verbindungen in einem wachsenden Kontaktnetz für den Kampf um Bewegungsfreiheit.“

Mit antirassistischen Grüßen,
die Kompass-Crew

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