+++ 23. – 28.7. in Frankfurt: Projekt Shelter und PrekärStation +++ 2.8. in Barcelona: Invisible Borders Action +++ 15. – 27.8: Back to the borders III auf Lesvos +++ 21. – 23.8.: Break-Isolation-Days: Bundesweite Refugee-Konferenz in Hannover +++ Zum 6.9. in Tunesien: Freedom Ferry Aktion +++ Sea Watch – erste Rettungseinsätze und Situation im zentralen Mittelmeer +++ Ferries not Frontex Kampagne +++ Balkanroute, neuer Zaun und Proteste in Ungarn +++ Wie weiter nach der Asylrechtsverschärfung? +++ weitere Rückblicke: Bootsaktion in Strasbourg, Eine Woche syrische Dauerdemo in Dortmund, Die Toten kommen… in Berlin +++ Ausblick: Social Transnational Strike- Konferenz vom 2. – 4.10. in Poznan +++
Liebe Freundinnen und Freunde!
Wir sind ausnahmsweise nicht am Monatsanfang am Start und auf unserer Webseite war es bereits kurz angekündigt: wir haben uns für eine Sommer-DoppelNummer für Juli und August entschieden. Die Einleitung fällt insofern etwas länger aus, denn es ist viel passiert und es ist in mehrfacher Sicht „Hochsaison“.
Zu allererst und nachhaltig an den EUAußengrenzen
Dass sich mehr Boatpeople denn je in diesem Sommer auf den Weg machen werden, war vorauszusehen. Zugespitzt ließe sich formulieren, dass das Grenzregime zur Zeit regelrecht überrannt wird von der „Hartnäckigkeit der Migrationsbewegung“ und dass sich die kritische Öffentlichkeit zum gewichtigen Unterstützungsfaktor entwickelt hat. Beispiel zentrales Mittelmeer: hier beobachten und intervenieren, hier agieren und retten eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Projekte, als Augen- (Stichwort Sea Watch) und als Ohrenzeugen (Stichwort Alarmphone) – und dazu unten einige zusammenfassende Informationen und Links.
„Wir müssen die Toten sehen. Ihre letzte Ruhestätte soll unsere politische Unruhe werden.“ Diese entschiedenen Sätze entstammen dem sehenswerten Mobilisierungsvideo des Zentrums für Politische Schönheit (siehe unten), das Mitte Juni im Rahmen der Kampagne „Die Toten kommen“ zu einem „Marsch der Entschlossenen“ zum Kanzleramt aufriefen. Ob und wie ein wütendes Gedenken möglich ist, ob und wie solch eine künstlerische Aktion der Situation der Angehörigen gerecht werden kann, mag zu diskutieren sein. Dass sich mehr als 5000 Menschen an der Demonstration gegen „die bürokratischen Mörder in Berlin“ beteiligt haben, war ein starkes Zeichen und die Kampagne hat jedenfalls beigetragen, das fortgesetzte SterbenLassen im Mittelmeer erneut in einer breiteren Öffentlichkeit zum Thema zu machen.
Gegen das tödliche Grenzregime bleibt „Fähren statt Frontex“ unsere zentrale Forderung für sichere legale Zugangswege, eine entsprechende Kampagne wurde im Juni bei einem Treffen in Frankfurt ins Leben gerufen (siehe unten). Diese muss sich auf das gesamte Mittelmeer und damit auch auf die Ägäis beziehen, in der immer wieder Menschen bei der Überfahrt kentern und ertrinken. Auf den griechischen Inseln sind mittlerweile mehr Menschen angelandet als in Italien, die aktuelle Situation gleicht einem Notstand. Wer es dann endlich weiter nach Athen schafft, ist mit den verschlossenen innereuropäischen Grenzen konfrontiert und Tausende haben keine andere Wahl, als sich über die Balkanroute nach Mittel- und Nordeuropa durchzuschlagen. An der griechischmazedonischen wie auch an der serbischungarischen Grenze spielen sich unglaubliche Dramen ab, wenn Flüchtlinge und MigrantInnen auf brutale Grenzbeamte und demnächst auch neue Zäune treffen. Gleichzeitig ist bemerkenswert, dass sich an vielen Orten auf dieser Route neue Unterstützungsnetzwerke entwickeln (siehe Berichte unten zu Ungarn und zu Griechenland).
„Dublin ist faktisch fast tot“
Statistisch klafft die Zahl der Überstellungsgesuche z.B. nach Ungarn oder Italien mit den faktischen Rückschiebungen immer weiter auseinander. Auch hier war und ist es in erster Linie die Hartnäckigkeit der Migrationsbewegung, die diese EUVerordnung regelrecht unterminiert hat. Flüchtlinge und MigrantInnen wehren sich auf allen Ebenen gegen diese innereuropäische Vorverlagerung der Grenze. Wo immer möglich, wird die Abgabe des Fingerabdrucks schon im Ankunftsland verweigert, und wo eine Abschiebung nach Budapest oder Rom mit Gewalt durchgesetzt wurde, kommen die Betroffenen zurück und versuchen es erneut. Zahllose Rückschiebungen werden juristisch erfolgreich angefochten, durch Kirchenasyle unmöglich gemacht oder durch direkte Blockaden verhindert. Der Versuch, auf EU-Ebene mit einer zahlenmäßig eher symbolischen Quotenverteilung dieser Krise gegenzusteuern, ist in den vergangenen Wochen ebenfalls gescheitert. Dublin wirkt momentan wie eine hohle Drohkulisse, die aus Prinzip und zwecks Einschüchterung von den Herrschenden noch verzweifelt aufrechterhalten wird, aber dessen Dysfunktionalität offensichtlicher denn je ist (dazu ausführlich die neue Ausgabe von http://www.hinterland-magazin.de/).
Die bittere Niederlage Asylgesetzverschärfung
Doch wir wollen das Gesamtbild keinesfalls zu rosig zeichnen: Dublin wird noch immer in Einzelfällen, wie aktuell gegen einen Refugee-Aktivisten in Hannover, mit Abschiebehaft durchzusetzen versucht und eben als Drohmittel erhalten. Dazu kommt, dass – wie befürchtet – Anfang Juli im Bundestag das neue „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ verabschiedet wurde (siehe unten). Es eröffnet den Abschiebebehörden neue Spielräume der Inhaftierung insbesondere in DublinVerfahren. Der große Erfolg der letzten Jahre, die Abschiebehaft weitgehend niedergerungen zu haben, ist damit in Frage gestellt. Und diese Niederlage führt uns eindrücklich die Grenzen der antirassistischen Bewegung vor Augen. Dezentral, vielfältig und in neuen Zusammensetzungen hat sich der Widerstand gegen Ausgrenzung und Abschiebung in den letzten Jahren rasant entwickelt, doch zu einer starken koordinierten Initiative gegen ein neues Bundesgesetz reicht es nicht. Das bleibt eine der wesentlichen Herausforderungen der antirassistischen Linken.
„Oxi“ zum Krisen- und auch zum Migrationsregime…
Die zweite Herausforderung liegt in der Ausweitung der inhaltlichen und praktischen „Brücken“ in andere gesellschaftliche Felder. Beispiel Griechenland: Mehr als beeindruckend, wie das Oxi, das Nein des Referendums, durch eine Mehrheit der griechischen Bevölkerung der Austeritätspolitik der Institutionen entgegengesetzt wurde. Am 20.6. gab es u.a. aus dem Blockupy Spektrum den Versuch, in Berlin eine Großdemo zu organisieren, die die Solidarität mit Griechenland und mit Geflüchteten zusammenbringt. Die Mobilisierung blieb relativ bescheiden, wie auch aktuell – nach dem erfolgten Erpressungsdiktat unter deutscher Knute – zwar in vielen Städten zum Protest aufgerufen wird, aber dieser jeweils über zu kleine Spektren nicht hinauskommt. Das Mobilisierungsproblem würde sich durch eine stärkere Beteiligung der AntiRa nicht lösen, aber gerade an Griechenland, dem aktuellen zentralen Brennpunkt der migrantischen Kämpfe in Südeuropa, ließe sich die Verbindung besonders nahe herstellen. Welcome to Europe hatte vor dem Referendum ein Statement verbreitet, siehe: https://www.facebook.com/notes/welcometo-europe/a-no-is-a-yes-for-a-social-anddemocratic-europe-forall/930463680329738 Doch weitere praktische Verknüpfungen kommen bislang kaum zustande.
Aus der internationalen BlockupyVernetzung ist eine Initiative entstanden, die wir im letzten Kompass Newsletter schon erwähnt hatten und die der AntiRaBewegung einen weiteren verbindenden Ansatz anbietet. Unter dem Begriff des „sozialen transnationalen Streiks“ wird zu einem übergreifenden Prozess eingeladen. Im aktuellen Aufruf zu einer Konferenz im Oktober in Poznan (siehe unten) heißt es: „Ein neues Mobilitätsregime erzeugt Hierarchien zwischen und innerhalb europäischen Regionen und versucht, die Bewegungen der Migrant*innen von innerhalb und außerhalb der EU einzuschränken. Die globalen Produktions- und „Care-Work“- Ketten, die kreuz und quer durch Europa verlaufen, nutzen die unterschiedlichen Lohnniveaus und Arbeitsgesetzgebungen zum Zwecke des Profits. … Aktuell finden zahlreiche Kämpfe um Löhne, Wohnraum, Zugang zu den Sozialsystemen und um Bewegungsfreiheit in Europa statt. Sie wenden sich von verschiedenen Seiten aus gegen den aktuellen Angriff auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Angesichts der transnationalen europäischen Dimension dieses Angriffs wird offensichtlich, wie notwendig die Überwindung ihrer Isolation und wie wichtig es ist, gemeinsame Prioritäten zu finden.“
Mit antirassistischen Grüßen,
das Kompass-Team